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„Rainforest World Music Festival“ 2022 - Ein Bericht

von Wolfgang König

Eingang vom Sarawak Cultural Village

Sarawak auf Borneo, der drittgrößten Insel der Erde (nach Grönland und Neuguinea) ist nicht nur der größte Bundesstaat von Malaysia, sondern auch Austragungsort vom Rainforest World Music Festival, das zu Recht als eines der besten Events dieser Art weltweit gilt. Vom 17. bis 19. Juni 2022 fand es zum 25. Mal statt. Unser Kollege Wolfgang König war dabei.

Äußere Veranda eines Langhauses

Innere Veranda eines Langhauses

Sarawak

Es ist schon dunkel, als die Maschine von Malaysia Airlines, aus Kuala Lumpur kommend, auf dem Flughafen von Kuching landet.

Von der Hauptstadt Sarawaks aus sind es etwa 40 Kilometer bis nach Santubong. Dort, zwischen dem mit Regenwald bewachsenen, gut 800 Meter hohen Mount Santubong und dem Strand am Südchinesischen Meer, befindet sich das Sarawak Cultural Village.
Dieses Open Air-Museum ist der Lebensweise und vor allem den Baustilen der vielen ethnischen Gruppen in Sarawak gewidmet. Denn, obwohl es ein Bundesstaat von Malaysia ist, bilden Malaien und auch Muslime allgemein hier eine Minderheit, ebenso wie Chinesen und Inder.

Die meisten Sarawakians gehören zu den Dayak, den indigenen Gruppen, von denen es etwa 20 gibt. Und die Dayak sind in der Regel Christen, einige praktizieren noch ihre traditionellen Religionen bzw. verschiedene Mischformen. Viele Dayak wohnen nach wie vor in Langhäusern. Die bestehen aus einer Aneinanderreihung von Wohneinheiten. Davor gibt es eine innere, überdachte Veranda als Gemeinschaftsraum und eine äußere, offene, die u.a. zum Aufhängen der Wäsche dient und zum Trocknen von Reis oder Pfeffer in der Sonne. Wird eine neue Familie gegründet, baut man einfach eine zusätzliche Wohnung an, und das Langhaus wird wieder etwas länger. Ein Dorf besteht darum oft aus nur einem Haus.

Sarawak hat eine sehr ungewöhnliche Geschichte. Im frühen 19. Jahrhundert kam es unter die Herrschaft des Sultans von Brunei. 1839 brach eine Rebellion der indigenen Gruppe der Bidayuh gegen ihn aus. Der britische Abenteurer James Brooke, der mit seinem Schiff die Region bereiste, schlug sich auf die Seite des Sultans und schaffte es, den Aufstand ohne weiteres Blutvergießen zu beenden. Zum Dank machte der Sultan Brooke zu seinem Lehnsmann und übertrug ihm als Raja die Herrschaft über Sarawak. Anders als man annehmen könnte und als Brooke in den Büchern und Filmen über den fiktiven Piraten Sandokan dargestellt wird, benahm sich James Brooke nicht wie ein Kolonialherr, sondern fühlte sich schon bald als Einheimischer. Er reformierte die Verwaltung und bekämpfte die grassierende Piraterie, was Wirtschaft und Handel voranbrachte. Nach und nach löste er Sarawak außerdem aus der Oberhoheit des Sultans.

Weil er keine Kinder hatte, ernannte James Brooke seinen Neffen Charles zum Nachfolger. Als zweiter "weißer Raja" von Sarawak schaffte es Charles Brooke 1899, die jahrhundertealte Praxis der Kopfjagd zu beenden. Er überzeugte die seit Generationen verfeindeten Gruppen, kein Blut mehr zu vergießen, sondern ihre Konflikte in der Form eines Bootsrennens auf dem Fluss Baram auszutragen; und diese Regatta gibt es bis heute. Charles Brookes Sohn Vyner wurde 1917 zum dritten weißen Raja von Sarawak. Er musste 1942 vor den japanischen Invasoren nach Australien fliehen. 1945 kehrte er zurück, und ein Jahr später übergab er Sarawak als Kronkolonie an Großbritannien; 18 Jahre später wurde aus dem Land der weißen Rajas ein Bundesstaat innerhalb der Föderation von Malaysia.

Auf dem Festival-Markt für traditionelles Kunsthandwerk

Bollywood Dance Workshop

Hot Picking - Workshop für Saiten-Instrumente

Interaktiver Sape-Workshop

Jüngster Sape-Spieler des Festivals

Percussion-Workshop

Strings Things - Sessions für Saiten-Instrumente aus aller Welt

1998 wurde das Sarawak Cultural Village zum Austragungsort vom ersten Rainforest World Music Festival (RWMF), das vom englischen Magazin Songlines regelmäßig zu einem der 25 besten Musik-Events des Planeten gekürt wird. Hatten sich 1998 nur 300 Zuschauer aus der Region eingefunden, lockte das RWMF 2019 etwa 25.000 Besucher von allen Kontinenten an. Dann kamen zwei Jahre, in denen nur digitale Veranstaltungen möglich waren. Im März 2022 gaben die malaysischen Behörden grünes Licht für eine Hybrid-Version mit maximal 4.000 Besuchern an jedem der drei Abende. Damit war auch das Budget eingeschränkt, und das Festival-Team musste kreativ werden.

Musikalischer Gruß aus der Ukraine - vom Liedermacher Jurij Fedynskyj

At Adau - eine von Sarawaks populärsten Bands

 Mei Han (China-USA) an der Zheng

Spotlight-Show mit dem Sape-Virtuosen Desmond Junek aus Sarawak

Bourbon Lassi

Heavy Metal Folk aus Südkorea mit Dongyang Gozupa

Das Festival 2022

Die meisten der lediglich neun Live-Acts in diesem Jahr (sonst sind es 30 bis 40) waren einheimische Bands bzw. Solisten. Ausländische Gäste kamen aus Indonesien, Südkorea, Australien, Indien und China/Kanada. Statt der zwei Open Air-Bühnen (während auf der einen Künstler auftraten, wurde auf der anderen für das nächste Konzert umgebaut) gab es nur eine. Die Pausen zwischen den Live-Auftritten wurden überbrückt mit kurzen, auf drei Screens einegspielten musikalischen Video-Grüßen aus aller Welt. Die kamen von Musikern, die entweder in der Vergangenheit beim RWMF aufgetreten waren, die in Zukunft gerne dort spielen würden, oder die das Festival einfach nur unterstützen wollen. Besonders zu Herzen ging das Video des ukrainischen Liedermachers Jurij Fedynskyj. Er war eigentlich nach Sarawak eingeladen, entschied sich aber, in seiner von Russland angegriffenen Heimat zu bleiben, um seine Landsleute moralisch zu unterstützen. Eine Mischung aus Video-Show und Live-Auftritt waren die Spotlight Shows, die ebenfalls die Umbau-Pausen überbrückten: In einem etwa 80 Meter von der Bühne entfernten Museums-Haus präsentierte sich musikalischer Nachwuchs mit kurzen, solistischen Auftritten, die live auf die Screens neben der Bühne übertragen wurden. Das ganze Festival konnte man für wenig Geld auch online mitverfolgen.

Was das RWMF von vielen anderen Festivals unterscheidet, ist sein fast schon familiärer Charakter. Auch wer nur am ersten Tag auftritt, soll bis zum Schluss bleiben, die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Teilen der Welt sehen, mit ihnen in Kontakt kommen und sich inspirieren lassen, zumal beim großen Finale dann alle gemeinsam auf der Bühne stehen. Vor den um 18 Uhr beginnenden Konzerten auf der großen Bühne gab es wie immer ein umfangreiches Tagesprogramm. Das umfasste Workshops, bei denen Musiker, die ähnliche Instrumente spielen, diese in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext demonstrierten, bevor zum Schluss alle zusammen jammten.

Andere Workshops waren zum aktiven Mitmachen für Erwachsene bzw. Kinder gedacht. Da konnte man in diesem Jahr z.B. Bollywood-Tänze lernen, unter Anleitung Yoga machen oder erste Schritte auf der Sape unternehmen.

Überhaupt die Sape! Diese Laute war noch vor drei Jahrzehnten nur ein traditionelles Instrument der indigenen Gruppen der Kenyah und Kayan in Sarawak und im benachbarten Indonesien. Heute ist sie - oft elektrifizert - überall in Sarawak zu hören, selbst in Supermärkten oder Hotel-Fahrstühlen, solistisch bzw. kombiniert mit dem westlichen Pop-Instrumentarium. Das ist in erster Linie dem RWMF zu verdanken, in dessen Logo sich auch auch ein stilisierter Sapespieler findet. Und mittlerweile gibt es auch im westlichen, dem Halbinsel-Teil von Malaysia zwischen Thailand und Singapur so viel Begeisterung für die Sape, dass sie auf dem besten Weg ist, das malaysische National-Instrument zu werden.

Die musikalische Entdeckung beim diesjährigen RWMF war für mich die Gruppe Bourbon Lassi aus Kuala Lumpur. Ein australischer Wahl-Malaysier an der Gitarre und zwei malaiische Kollegen an E-Bass und Schlagzeug kochten einen kräftigen Eintopf aus Blues, Rock und Funk. Zwei indische Malaysier an Sitar und Tablas steuerten eine ordentlich Portion indische Musik bei. So etwas kann sehr leicht schiefgehen, aber weil exzellente Musiker am Werk waren, wurde ihre Show einfach umwerfend. Brillant wie immer auch die sarawakische Gruppe At Adau, die zu denen gehört, die die Sape ins 21. Jahrhundert transferiert und so entscheidend zu ihrer wachsenden Popularität beigetragen haben.

Wer aus West-Malaysia oder dem Ausland anreist, hinterlässt natürlich schon durch den Flug einen erheblichen ökologischen Fußabdruck. Aber zumindest auf dem Festival-Gelände soll es anders zugehen. Soviel Strom wie möglich wird solar erzeugt. Streng wird darauf geachtet, dass niemand irgendwo Müll einfach fallen lässt. Die Gastronomie verwendet keine Einweg-Teller und -Bestecke, und es wird auch kein Mineralwasser in Plastikflaschen verkauft. Stattdessen sollen die Besucher selber eine Flasche mitbringen, die sie dann an verschiedenen Stationen kostenlos wieder füllen können.

Festival-Workshop-Videos

Eine der Bühnen und Publikum des Rainforest World Music Festival ’22

So sieht Begeisterung aus!

 „Thank you for watching - see you in 2023!“

Und wie immer gilt: Nach dem Festival ist vor dem Festival. Das Datum für das Rainforest World Music Festival 2023 steht schon fest: vom 16. bis 18. Juni. Dann hoffentlich in alter Größe.