ponderosa | edel Kultur (2013)
von: Gabriele Schäfer
"Nach dem Meer kommt der Hafen und Häfen sind für Musiker das, was Blütenstaub für die Blumen ist." Das sagt Vinicio Capossela selbst über seine neue Veröffentlichung "Rebetiko Gymnastas". Im Anschluss an die musikalische Seereise der letzten CD "Marinai, Profeti e Balene" (Seeleute, Propheten und Wale, unsere CD der Woche im Juni vergangenen Jahres) ist er jetzt in Griechenland angekommen und hat dort sein aktuelles Album aufgenommen. Dafür hat er sich mit namhaften Musikern der lokalen Szene zusammen getan und eine Hommage an den Rebetiko eingespielt - die Musik, die oft als "griechischer Blues" bezeichnet wird. Dieser Stil wurde vor allem durch eingewanderte griechische Musiker aus Kleinasien populär. Von dort vertrieben, siedelten sich die "Rebetes" in den 1920ern überwiegend in den Hafenstädten Athen und Thessaloniki an. So entstand eine fruchtbare Musikszene, von der Vinicio Capossela sich nun inspirieren ließ.
Auf diesem 14. Album des italienischen Musikers befinden sich acht, im Rebetiko-Stil eingespielte, Variationen eigener Stücke und mit "Rebetiko mou" (Mein Rebetiko) eine neue Komposition, die er für dieses Album kreiert hat. Außerdem zwei Coverversionen lateinamerikanischer Stücke sowie ein Titel des russischen Liedermachers Vladimir Vysotsky und eine Fassung von Tetos Demetriades "Misirlou". Dieses Lied über die schöne Ägypterin, zu neuem Ruhm gelangt durch die im Soundtrack von Pulp Fiction verwendete Surf-Version von Dick Dale, wird hier gesungen von der populären griechischen Sängerin Kaiti Ntali. Zum Schluss folgt ein Hidden Track, bei dem es sich um den Hit des italienischen Sängers Tony Dallara aus den 50er Jahren handelt. Der klingt, wie es sich für einen alten Schlager gehört, schön schnulzig und endet mit dem griechischen "Sagapo" (Ich liebe Dich).
Auf der Website von Vinicio Capossela findet man übrigens englische Übersetzungen aller Texte. Auch die liebevolle Gestaltung des Artwork ist eine Würdigung des Rebetiko. Die CD steckt in einem Klappcover, dessen Innenseite eine alte Karte zeigt. Diese deutet den unfreiwilligen und leidvollen Weg der Rebetes von ihrer kleinasiatischen Heimat nach Griechenland an. Eingefügt sind Grafiken von Musikern, die gymnastische Übungen ausführen - soviel zur Entstehung des Albumtitels, der den sportlichen Einsatz bei der Verknüpfung verschiedener Genres symbolisiert. Ein weiteres schönes Detail und Zugeständnis an die griechische Kultur: im Booklet der CD ist zu jedem Lied der Name des entsprechenden Tanzes erwähnt, so zum Beispiel "Tsifteteli" (die griechische Version des Bauchtanzes) oder "Chasapiko", der "Metzgertanz". Vinicio Capossela hat sich für die Aufnahme einige Größen der griechischen Musikszene ins Athener Studio geholt. Mit an Bord sind der Bouzouki-Virtouse Manolis Pappos, der schon mit Mikis Thedorakis, Eleftheria Arvanitaki, George Dalaras und Nikos Papazoglou gespielt hat. Außerdem dabei - Tom-Waits-Gitarrist Marc Ribot, mit dem der bekennende Waits-Fan bereits mehrmals zusammengearbeitet hat. Vom Arrangement her erinnern viele der Titel stark an seine früheren Werke.
Man könnte also sagen, das neue Album ist mehr "Caposseliko" als Rebetiko. Und doch ist es schön, dass Vinicio Capossela, seit jeher bekannt für sein experimentierfreudigen Einsatz in Bezug auf musikalischen Einflüsse, sich jetzt auch der griechischen Musik widmet. Er versteht es als ein Zeichen der Solidarität mit dem krisengeschüttelten Griechenland. Sehr sympathisch - vor allem nach den erschreckenden Nachrichten der letzten Woche über die willkürliche und überstürzte Schließung von ERT, dem staatlichen griechischen Rundfunk.