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Trovači - Aprililili

GMO (2014)

von: Clemens Grün, Cemre Karakus

"Multikulti ist vorbei, Multikulti ist gescheitert", singen Trovači mit eingängiger Melodie über einen launigen Samba-Rhythmus und zitieren damit eine Rede Angela Merkels von 2010. Die vorzugsweise vom konservativen politischen Lager betriebene Stilisierung von "Multikulti" zum ideologischen Kampfbegriff und Synonym für die verteufelten Parallelgesellschaften hatte zwei Jahre zuvor sogar die Schließung des gleichnamigen Berliner Radiosenders befördert, dessen Nachfolge multicult.fm angetreten hat.

Der serbokroatische Buchautor und Trovači-Leadsänger Danko Rabrenović, selbst Radiomacher bei den Kölner Kollegen von Funkhaus Europa, ist prädestiniert dafür, eine solche sehr deutsche Debatte zu einem kritisch-ironischen Song zu verarbeiten. Das Spiel mit den Identitäten liegt dem Kosmopoliten mit dem Schalk im Nacken. In die Waagschale wirft er dabei den Blickwinkel eines Zuwanderers, der seit seiner Flucht vor dem Jugoslawienkrieg Anfang der 90er Jahre sein halbes Leben in Deutschland verbracht hat.

Der Slang-Begriff Trovači kann sowohl mit "Verführer", als auch mit "Vergifter" übersetzt werden, und in gewisser Weise spiegelt sich darin auch Rabrenovićs persönliche Entwicklung wider: von seinen künstlerischen Anfängen als Interpret nostalgischer Herzschmerzballaden in seiner Muttersprache über die Gründung der Band 2003 und deren Teilnahme am deutschen Vorausscheid zum Eurovision Song Contest 2008 bis hin zum nunmehr vierten Studioalbum "Aprililili", das ihn als kritischen, vielsprachigen Kommentator politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse diesseits und jenseits der Alpen ausweist.

Diese Entwicklung ist auch musikalisch zu hören, wenngleich der über Hunderte von Konzerten und mehrere Alben entwickelte Trovači-Sound, eine Kombination aus treibendem Ska, Reggae, Punk, Rock und Latino-Einflüssen, seine stets hörbaren Wurzeln noch immer in jener emanzipatorischen Neuen Jugoslawischen Welle hat, mit der Rabrenović und seine Altersgenossen auf dem Vorkriegsbalkan der 80er Jahre ihre Jugend zelebrierten.

Auf einen solchen gemeinsamen Erfahrungshorizont spielt auch der auf Serbisch gesungene Song "Che" an, dessen Text die Band im Booklet erläutert: "Neue Politiker, alte Probleme: Korruption, Lügen, Vetternwirtschaft. Es gibt keine Hoffnung auf bessere Zeiten, wenn wir nichts ändern. Oder brauchen wir einen neuen Che Guevara für eine neue Revolution?" So beschreiben Trovači die politische Realität in ihrer alten Heimat und positionieren sich dabei zugleich als Sprachrohr für die Sehnsüchte einer von Krieg und Bananenrepublik vertriebenen Generation.

Hier wird die Musik zum Ventil und die Kreativität zur Kraft, um die Widrigkeiten des täglichen Lebens in den Griff zu bekommen, wobei Trovači den Westen nicht nur mit ihrem balkantypischen Sound, sondern auch mit dem ihnen eigenen schlitzohrigen Sprachwitz zu infizieren trachten. Auch der amerikanische Geheimdienst ("NSA, NSA, do you know what I have done today?") bekommt dabei sein Fett weg, passenderweise mit dem einzigen englischsprachigen Song des Albums. Der serbische Titelsong "Aprililili" ("Aprilscherz") schließlich hat mit der universalen Verständlichkeit seiner Schlüsselwörter ("imperijalizma", "fa?izam", "terorizam") das Zeug zur internationalen globalisierungskritischen Hymne.

Rabrenovićs Replik auf Merkels eingangs erwähnte "Multikulti"-These fasst übrigens bereits der Songtitel auf Trovači-typisch trockene Weise zusammen: "Nix vorbei". Die sarkastische Widmung dürfte der für gewöhnlich gut informierten Kanzlerin nicht entgangen sein. Ob diese sie ins Grübeln gebracht hat - wer weiß? Jedenfalls setzte Merkel in der jüngsten PEGIDA-Debatte inhaltlich ganz andere Akzente als noch vor fünf Jahren.