Huette Records (2015)
von: Clemens Grün, Christian Sweep
"Da fliegt mir doch das Blech weg!" Dieser Refrain aus dem Spliff-Song "Das Blech" wurde Ende 1982 zum geflügelten Wort. Auch die Textzeile "Blech gehabt" im gleichnamigen Song des Wiener Sängers Thomas Gartmeyer aka Tombo hat das Potential, Eingang in die Jugendsprache zu finden. Doch während seine diskoaffinen Urahnen der Neuen Deutschen Welle dereinst eher klangen wie Michael Jackson aus der Blechbüchse (dessen erfolgreichstes Album "Thriller" zur selben Zeit die Charts stürmte) wird das Blechmotiv Tombo zur fruchtbaren Inspirationsquelle für ein musikalisch ambitioniertes Projekt: Mit seinem erstklassigen "Raggamuffin Brass Orchestra" begibt sich der Österreicher auf eine musikalische Reise von Wien über Kingston nach New Orleans. Das Ergebnis ist ein Mix aus deutschen Texten, pulsierendem Offbeat aus der Stadt, in der die Blättchen für einen Spliff nie ausgehen, und einer frischen Blechbläser-Brise aus dem Mississippi-Delta. Ein deutschsprachiges Reggae-Dancehall-Album im Brass-Gewand - geht das? Und wie das geht!
Geboren und aufgewachsen in Wien, wird Tombo mit 14 Jahren im Zuge des klassischen Gitarre-Unterrichts "reggaefiziert". Sein Herz beginnt für den Offbeat zu schlagen, und er entschließt sich Drummer zu werden. Mit 17 gründet er die Reggae-Band CheeseVibes und bespielt in dieser Formation auch als Sänger erfolgreich den deutschsprachigen Raum. Ihr Debutalbum "Hop & Drop" gilt 2005 als Highlight der österreichischen Szene. Nach der Trennung der Band nutzt Tombo einige unfertige Songs als Grundlage für sein Soloprojekt.
Gemeinsam mit Manfred Scheer von Österreichs Haus- und Hof-Reggae-Label "House of Riddim", welches schon mit Mellow Mark, Ganjaman und Jan Delay arbeitete, produziert er 2013 sein Solodebut "Eins", dem 2014 die EP "Raggamuffin Sounds in der Diskostadt" folgt. Mit "Raggamuffin Brass Orchestra" wagt er nun den Schritt in völlig neue Gefilde und betritt damit international Neuland.
Im Gegensatz zu musikalisch vergleichbaren Projekten wie Jazz Jamaica verzichtet Tombo dabei völlig auf den Einsatz von Gitarre, Bass und Klavier. Ausschließlich mit Bläsern, Drums und Percussion kreiert er so einen bislang einzigartigen Reggae-Brass-Sound mit authentischer, rastlos-feiernder Trubaci-Attitüde, der durch Tombos markante Stimme den letzten Schliff bekommt. Irgendwo zwischen Flowin Immo und Dendemann, klingt Tombo so wie der bayerische Grasliebhaber Hans Söllner aussieht: sympathisch, heiser und verraucht. Immer kritisch gegenüber "hochpolierten Kaufhausfressen", "blaugepausten Plastikstädten" und "grinsenden Gymnastikmenschen" textet sich Tombo amüsant bis nachdenklich durch den Alltag und bietet da, wo nichts mehr geht, vor allem eine Lösung: "Music!"
Mit seinen knifflig gedichteten Lyrics tippelt er über die von fein arrangierten Bläsersätzen auf Hochglanz polierte Showtreppe. Mit frischem Jazz-Atem, treibenden Funk-Akzenten und swingendem 20er Jahre Sound marschieren Tombo,Trompete und Co. im Dancehall-Ryhthmus durch die Lande. Die Karawane zieht vorbei an Walfischgesängen ("Unterwasser Clubsound"), am dissonanten "Mission Impossible"-Thema ("Anfang"), und mit dem Song "Hörner" ist sogar etwas für den Dancefloor dabei.
Wenn sie an Deinem Fenster vorbeikommt, mach es getrost auf und spende ein paar Taler - rausgeworfenes Geld ist das "Raggamuffin Brass Orchestra" ganz gewiss nicht. Zu dem Mut, ein solches Projekt zu realisieren, kann man Tombo nur beglückwünschen. Wären wir Promoter, würden wir uns nun glatt des Künstlers selbstgedichteten Superlativs "tombastisch" bedienen. Als die neutralen Beobachter, die wir sind, bilanzieren wir: eine originelle, überraschende, mit viel Herzblut produzierte und verblüffend runde Scheibe Musik.