Warner Music (2016)
von: Clemens Grün (Mitarbeit: Nina Detz)
Ein offenherziges Wesen mit charismatischer Zahnlücke und rauchig-voluminöser Stimme - so könnte man sich auch die Zigarettenfabrikarbeiterin Carmen vorstellen, das Urbild der südländischen Femme fatale. Concha Buikas Stimme klingt, wie es die Sängerin und TV-Jounalistin Evelyn Fischer treffend beschrieb, „als sei nichts Menschliches ihr fremd“. Ihrer spiel- und experimentierfreudigen, leidenschaftlichen und versierten Musik hält allerdings kaum ein Vergleich stand. Buikas Interpretation des Flamenco ist bahnbrechend.
Die Grenzenlosigkeit ist Buika in die Wiege gelegt. Als Tochter äquatorialguineanischer Eltern auf Mallorca geboren, hörte sie zu Hause Jazz und lernte von ihren Freunden auf der Straße den Flamenco. Andere afrikanische Einwanderer gab es in dieser Gegend damals nicht. Es waren Gitanos, für die diese Musik schon Ausdruck ihres kulturelles Erbes war, bevor sie von den Hispanos in Andalusien als deren eigenes vereinnahmt wurde. Eigentlich, sagt Buika, sei sie eine große Lügnerin: Sie habe nämlich gar keine Ahnung vom Flamenco. Manches spicht dafür, dass das Geheimnis von Buikas Musik in eben dieser unvoreingenommenen und zugleich demütigen Haltung liegt.
Sie experimentierte mit Rap und House, sang spanische Couplets in Nachtlokalen und trat als Tina-Turner-Double in Las Vegas auf. International bekannt wurde sie mit ihrem Soundtrack zu Pedro Amodovars Spielfilm "Die Haut, in der ich wohne". Mit ihrer Hommage an die mexikanische Sängerin Chavela Vargas gewann sie 2010, gemeinsam mit dem kubanischen Pianisten Chucho Valdés, einen Latin-Grammy. Buika arbeitete mit dem portugiesischen Popstar Nelly Furtado und der Fado-Sängerin Mariza, dem legendären Jazzpianisten Chick Corea und dem nicht minder legendären Jazzgitarristen Pat Metheny. Buika ist das, was man im Flamenco eine „lange Sängerin“ nennt. Sie kann jeden Stil singen und bleibt dabei doch immer authentisch und unverwechselbar. „Die Musik“, meint die Sängerin, „wohnt im Körper, nicht in irgendwelchen Territorien.“
Acht Alben hat die umtriebige Künstlerin in den letzten zehn Jahren veröffentlicht. Sie habe keine Wahl, sagt Buika. Sie habe eine Mission, und das sei die Musik. Auf ihrem neuen Album präsentiert sie fast ausschliesslich eigene Songs - und weiß ihr stetig wachsendes Publikum dabei einmal mehr mit ihrer Wandlungsfähigkeit zu verblüffen. Als eine Weltbürgerin, die zugleich doch stets ihren eigenen Wurzeln huldigt. Buikas Musik ist wie die Sängerin selbst: Eine Fusion der Kulturen. Es ist ihre Vielseitigkeit, mit der sie frischen Wind in den Flamenco bringt und ihn einem weltweiten Publikum zugänglich macht.
Natürlich pulsieren auch auf diesem, in Miami, New York, London und Madrid aufgenommenen Album die Rhythmen der Gitanos. Charakteristisch für Buikas kreativen Umgang mit der Tradition ist dabei der auf Spanisch gesungene Titel „Si volveré“. Buikas Stimme trifft auf eine Jazzgitarre, eine hawaianische Ukulele, eine Hammondorgel, Latin Percussion und afrikanischen Wechselgesang. Dass dieser kaum je gehörte Genremix zugleich vollkommen organisch wirkt, spricht für die Extraklasse aller beteiligten Künstler.
Zu Buikas Mission gehört, dass sie etwas mitzuteilen hat. Als Kind politischer Flüchtlinge, die sich auf den Balearen ein neues Leben aufgebaut haben, spricht sie dabei stets aus tiefster Seele. Ihr Vater verließ die Familie früh, ihre Mutter kümmerte sich um die kleine María Concepción – so Buikas wirklicher Name - und sechs weitere Geschwister. Mit dem Song „Sister“ dankt Buika ihrer Mutter, dass sie die siebenköpfige Familie in einem Armenviertel von Palma de Mallorca allein über Wasser gehalten hat - stellvertretend für alle Frauen und Mütter, die sich für das Wohlergehen ihrer Familien einsetzen. Die Fortsetzung dieser sehr persönlichen Geschichte liefert Buika mit dem Song „Good Men“. „Sister, get up!“ ruft sie den verlassenen Frauen der Welt zu, „Never cry for a wasted love!“ Geht raus, und sucht Euch einen neuen! Die Welt sei voller „handsome men“. Musikalisch erweist die Sängerin sich dabei einmal mehr als Grenzgängerin: Der Song schlägt einen eigenwilligen Bogen von einem Vintage-Funk-Sound zu einem modernen Dancehall-R`n`B-Arrangement.
Den Flamenco-Popsong „Waves“ singt Buika im Duett mit dem andalusischen, durch seine Zusammenarbeit mit Paco de Lucia bekannten Sänger Potito. In dem musikalischen Dialog geht es um den Konflikt von Emotion und Selbstkontrolle. Überall, meint Buika, lebten die Menschen in ständiger Angst zu versagen. Wir trauten uns nicht zu sagen, was wir denken und so zu leben, wie wir gerne leben würden. Gerade Frauen, glaubt die Sängerin, falle es schwer, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ihren Ausweg aus dem Dilemma beschreibt Buika im Titelsong ihres Albums.
Mit „Vivir sin miedo“ – „Leben ohne Angst“ sendet sie ihr persönliches Mantra in eine von Kriegen, sozialen Verwerfungen und allgegenwärtigem Leistungsdruck geprägte Welt. Welche Herausforderungen Dir das Leben auch immer auferlegt, so Buikas Botschaft: Bleibe Dir selbst treu! Nicht zufällig erinnert der Song dabei musikalisch an die sakralen Wurzeln des Blues: den Gospel. Der sparsam instrumentierte Klangteppich von Keyboard, Gitarre, Bass und Schlagzeug wird insbesondere von Buikas eigenem, souligem Backgroundgesang getragen, und über allem schwebt ihre eindringliche Flamenco-Stimme. Im Zeitalter der Säkularisierung haben die Suche nach der eigenen Identität und die kreative Selbstentfaltung eine quasi-religiöse Funktion.
Ein weiteres Duett präsentiert Buika mit dem ebenfalls Grammy-dekorierten amerikanischen Popsänger Jason Mraz, eine eingängige Popballade mit heißblütigem Flamenco-Flavour, bei der Buika – wie so oft – zugleich als Lead- und als Backgroundsängerin auftritt. Die philosophische Botschaft hinter dem Song „Carry your own weight“ – etwa: „Trage Deinen Rucksack selbst“, in dem die Sängerin symbolträchtig zwischen dem Englischen und Spanischen wechselt, lautet: Wohin auch immer Deine Reise geht, Deine Geschichte wird Dich immer begleiten. Drum flüchte nicht vor Deinen Dämonen, sondern stelle Dich ihnen. Einmal mehr erzählt dieser Song viel über den Menschen hinter der Künstlerin und erinnert daran, was Concha Buika tatsächlich zum modernen Gegenbild der klassischen mythologischen Figur macht: Es fehlt die tragische Wendung.
Diese Carmen hat sieben Leben.
Wer Buika live erleben möchte, hat am Dienstag, den 23. Februar im Astra-Kulturhaus die Gelegenheit dazu. Tickets gibt es ab 36€.